Regulierung schafft Inflation – wir brauchen den Rückzug des Staates

„Die Zentralbanken gaben die notwendige Rückendeckung“, meint Gunther Schnabl
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In der Pandemie wurden Dienstleister zeitweise zwangsgeschlossen. Mit der Ukraine-Krise wird der Handel mit Russland sanktioniert. Das und mehr führt zu steigenden Produktionskosten und Preisen. Schuld an der „Regulierungsinflation“ sind auch die Zentralbanken.
Die Inflation im Euroraum steigt weiter und wurde zuletzt bei 8,1 Prozent gemessen. Gleichzeitig nehmen die Eingriffe der Staaten in den Wirtschaftsprozess immer weiter zu. Produktionsprozesse, Produkte und Lieferketten werden immer stärker reguliert.
In der Corona-Krise wurden Dienstleister zeitweise zwangsgeschlossen. Mit der Ukraine-Krise wird der Handel mit Russland sanktioniert. Das führt zu steigenden Produktionskosten und Preisen. Was nicht offensichtlich ist: Indirekt tragen die Zentralbanken maßgeblich zu der „Regulierungsinflation“ bei.
Grundsätzlich begünstigen Regulierungen meist einzelne Sektoren. Müssen beispielsweise Stromzähler regelmäßig ausgetauscht werden, dann profitieren deren Produzenten. Dürfen alte Autos ohne Umweltplakette nicht mehr in die Städte fahren, dann steigt der Absatz für Neuwagen.
Das zusätzliche Geschäft kann für Lobbygruppen ein Anreiz sein – meist mit der Begründung des Verbraucher- oder Umweltschutzes – Regulierungen voranzutreiben. Dann wird auch die Bürokratie ausgebaut, weil mehr kontrolliert werden muss.
Die Unternehmen klagen seit Langem. Auch die Banken sind seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise mit mehr Regulierungen und kostspieligen Berichtspflichten konfrontiert. Im Zuge der Umweltpolitik wurden den Landwirten zahlreiche Regeln auferlegt. Die Folge wuchernder Regulierung sind höhere Kosten. Wenn – insbesondere kleine – Unternehmen oder Banken aufgrund der Regulierungslasten die Tore schließen, entsteht Arbeitslosigkeit.
Die Zentralbanken gaben die notwendige Rückendeckung
Es sei denn, der Staat schafft einen Ausgleich. Seit vielen Jahren wurden die Unternehmen dadurch entlastet, dass die Zentralbanken mit ihren zunehmend lockeren Geldpolitiken die Finanzierungskosten senkten. Die wohl sonst einschneidenden Konsequenzen der Lockdowns für den Arbeitsmarkt konnten dank mächtiger schuldenfinanzierter Staatshilfen verhindert werden. Die Zentralbanken gaben die notwendige Rückendeckung, indem sie im großen Umfang Staatsanleihen kauften.
Auch die wachsenden internationalen Handelsbeschränkungen können mit den Geldpolitiken in Verbindung gebracht werden. Denn die Zentralbanken haben spätestens seit der Jahrtausendwende zu einer wachsenden Vermögensungleichheit beigetragen, indem sie die Preise von Aktien- und Immobilien nach oben trieben.
Gleichzeitig haben die anhaltend niedrigen Zinsen den Druck von den Unternehmen genommen, Produktivitätsgewinne voranzubringen. Da Produktivitätsgewinne die Grundlage für reale Lohnerhöhungen sind, sind die Löhne breiter Bevölkerungsschichten nur noch schwach gewachsen.
Im Ergebnis ist Unzufriedenheit weitverbreitet. Politiker wie Donald Trump haben das für sich genutzt, indem sie die Handelspartner für die Misere verantwortlich gemacht haben. Mit einer Phalanx von Zöllen gegen China und der Devise „America First“ hat er viele Wähler hinter sich gebracht.
Die Freihandelsabkommen TTIP und TTP wurden gekippt. Auch die in vielen Ländern angestrebten Lieferkettengesetze könnten nicht nur dazu dienen, die Arbeits- und Sozialstandards in den Entwicklungsländern zu verbessern, sondern auch die heimischen Arbeitnehmer gegen billige ausländische Konkurrenz zu schützen.
Neue Handelsbeschränkungen sind mit dem Ukraine-Krieg in Form von Sanktionen hinzugekommen. Einerseits sollen die Energieimporte aus Russland stark reduziert werden, andererseits stehen Exporte nach Russland unter politischem Druck. Der Krieg Putins und die Sanktionen treiben weltweit die Energie- und Lebensmittelpreise nach oben. Diese waren bereits vor dem Krieg im Zuge der anhaltend lockeren Geld- und Finanzpolitiken sowie der Klimapolitik (z.B. aufgrund der CO2-Steuer) deutlich angestiegen.
Inwieweit die Sanktionen und die Klimapolitik auf die Dauer politisch tragbar sind, dürfte davon abhängen, wie die Bevölkerung auf die steigende Inflation reagiert. Das schlechte Abschneiden von SPD und FDP bei den jüngsten Landtagswahlen soll auch auf die hohe Inflation zurückgehen. Entsprechend sind viele Regierungen derzeit bemüht über Benzinsubventionen, Zuzahlungen für Heizkosten, die Deckelung der Gaspreise oder finanzielle Zuwendungen die Lasten der Inflation abzumildern.
Rückzug des Staates führt zu höherem realen Lohnniveau
Da die Kassen jedoch leer sind, werden die damit verbundenen Ausgabenverpflichtungen wohl nur durch neue Schulden zu finanzieren sein. Die dürften jedoch nur dann problemlos auf den Kapitalmärkten zu platzieren sein, wenn die Zentralbanken weiterhin Staatsanleihen kaufen. Doch nun haben die großen Zentralbanken angekündigt, die Ankäufe von Staatsanleihen zu beenden und die Zinsen anzuheben.
Ob sie diesen Kurs durchhalten werden, bleibt abzuwarten. Wenn die Zinsen über einen längeren Zeitraum schrittweise angehoben werden, dann müssten die hoch verschuldeten Staaten die Ausgaben kürzen und umfassende Strukturreformen – einschließlich Bürokratieabbau – voranbringen. Der Druck der Unternehmen auf die Regierungen würde steigen, mit Deregulierung zu Kostensenkungen beizutragen.
Der erzwungene Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsprozess und der Regulierungsabbau für Unternehmen, Banken und Landwirte würden nicht nur einen Wachstumsschub, sondern auch ein höheres reales Lohnniveau ermöglichen. Mit einer wachsenden Zufriedenheit in der Bevölkerung könnte auch die wohlstandsfördernde Globalisierung wieder mehr gesellschaftlicher Akzeptanz gewinnen.
Gunther Schnabl ist Ökonom und hat seit 2006 den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig inne. Außerdem leitet er das Institut für Wirtschaftspolitik.
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