Forschen deutsche Hochschulen bald auch zu militärischen Zwecken?
Berlin Die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende brauche auch die Mithilfe der deutschen Wissenschaft. Militärische Forschung dürfe an deutschen Hochschulen in Zeiten von Pandemie, Krieg in Europa und internationaler Blockbildung nicht länger tabu sein. Das fordern die Präsidenten der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), Christoph Schmidt und Johann-Dietrich Wörner, in einer Analyse zu „Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit“ im Vorfeld des G7-Gipfels diese Woche.
Es sei höchste Zeit, dass auch die deutsche Wissenschaft in der Sicherheitsforschung aktiver werde, heißt es. Dazu müssten allerdings die vielfachen „Zivilklauseln“ wegfallen, die militärische Forschung verbieten.
Politisch verboten ist militärische Forschung aktuell zwar nur noch in den Hochschulgesetzen von Bremen und Thüringen. Nordrhein-Westfalen hat den Passus schon 2019 beerdigt, Niedersachsen vor Kurzem.
Allerdings verpflichten sich 75 Hochschulen, darunter 39 Universitäten, in ihren Grundordnungen freiwillig dazu, nur Forschung für zivile Zwecke zu betreiben. Das geht aus einer Übersicht der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ hervor. Auch sieben der 13 Exzellenzunis haben eine Zivilklausel: die Aachener RWTH, HU und TU in Berlin, sowie die Universitäten Bonn, Hamburg, Konstanz und Tübingen.
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Die Klauseln sind aber oft sehr allgemein gehalten. So heißt es etwa in der soeben vom Senat der TH Köln verabschiedeten neuen Grundordnung, sie „verfolgt ausschließlich friedliche Ziele und leistet ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt“. Dennoch können und sollen sie im Zweifel militärnahe Forschung unterbinden.
Forschung zu Cybersicherheit finde derzeit im Graubereich statt
Acatech plädiert nun dafür, Technikforschung für militärische Zwecke immer „durch Begleitforschung und den Dialog mit den Beteiligten und der Gesellschaft“ zu flankieren. Dann könne sie Zusatznutzen generieren, indem sie auch im zivilen Bereich Innovationen fördere.
Aktuell finde aber etwa die Forschung zu Cybersicherheit „oft in einem Graubereich statt, da Forschende in fremde zu analysierende Systeme eindringen müssen, um Schwachstellen offenzulegen“. Die Acatech-Präsidenten fordern daher auch, die Finanzierung der Bundeswehr um finanzielle Mittel für Cybersicherheit zu ergänzen.
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Um generell die digitale Souveränität – sowohl im militärischen als auch in der IT generell – zu stärken, müsse der Bund daneben auch die Institutionen für Cybersicherheit – das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) – besser koordinieren. Aktuell hätten diese zwar die nötigen Kompetenzen, „aber keine klare Führungsverantwortlichkeit, um strategische Weiterentwicklungen anzustoßen und umzusetzen“.
Friedensaktivisten hingegen streiten generell gegen Aufrüstung in Deutschland und speziell gegen die Nutzung von Künstlicher Intelligenz – beispielsweise für autonome Kampfdrohnen, deren Einsatz die Ampel der Bundeswehr künftig erlauben will. Auch am milliardenschweren deutsch-französischen Kampfflugzeugsystem „Future Combat Air System“ (FCAS) dürfe sich die Wissenschaft nicht beteiligen.
280 Millionen Euro – die aber nur an bestimme Hochschulen vergeben werden dürfen
Den Verfechtern der Zivilklauseln gilt es auch als Sieg gegen die Vereinnahmung durch die Politik, dass die alte Regierung 2018 die „Cyberagentur“ habe gründen müssen. Die Agentur von Innen- und Verteidigungsministerium ist seit 2020 im Aufbau. Sie forscht allerdings nicht selbst, sondern hat bis 2023 ein Budget von 280 Millionen Euro, um damit Forschungsaufträge zu vergeben – die Forscher von Hochschulen mit Zivilklauseln aber gar nicht annehmen dürften.
Christoph Igel, Forschungsdirektor der Cyberagentur, warb zum Start daher fast flehentlich um „ein positives Miteinander – auch mit der Wissenschaft“. Um die innere und äußere Sicherheit voranzubringen, wolle er „mit den besten Wissenschaftlern und Cyberexperten in Deutschland arbeiten – potenziell auch mit etwa 360 Hochschulen in Deutschland und mit 40.000 Professoren“. Um die jedoch „mit Blick auf Zivilklauseln und Dual-Use-Problematiken“ zu gewinnen, „werden wir erst mal richtig dicke Bretter bohren müssen“.
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