Berlin Vorn auf der Bühne zählt Olaf Scholz (SPD) all die Versprechen auf, die er der Wirtschaft vor einem Jahr als Kanzlerkandidat gemacht und als Kanzler gehalten habe. Schnellere Genehmigungsverfahren, der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Schaffung eines Klima-Clubs für mehr Klimaschutz über Ländergrenzen hinweg.
„Auch die EEG-Umlage haben wir zum 1. Juli abgeschafft“, sagt der Kanzler, macht eine Pause und wartet auf Applaus, der aber ausbleibt. „Jo“, sagt Scholz und schmunzelt. Jetzt lachen auch die Wirtschaftsvertreter. „Das waren 25 Milliarden Euro, nur mal so. Und die Abschaffung ist noch nicht in Kraft, Sie sollten sich also ein bisschen freuen“, sagt Scholz feixend.
Wenn ein Bundeskanzler beim Tag der Deutschen Industrie auftritt, ist dies immer ein Gradmesser, wie es um das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft im Land aktuell bestellt ist. Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel (CDU) blies hier schon so manches Mal wegen ausbleibender Reformbereitschaft eisiger Wind ins Gesicht. Ein sozialdemokratischer Kanzler hat naturgemäß eher einen noch schwierigeren Stand.
Doch in Zeiten des Krieges, der Zeitenwende und großer Herausforderungen stehen Politik und Wirtschaft zusammen. Statt gegenseitiger Vorhaltungen oder Zumutungen haben Scholz und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Dienstag vor allem warme Worte füreinander übrig.
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Scholz zeigt viel Verständnis für die Probleme, mit denen die Wirtschaft derzeit zu kämpfen hat. So schmerzten die Sanktionen gegen Russland „auch uns selbst, schmerzen unsere Unternehmen“.
Zugleich gesteht der Kanzler ein: „Freiheit hat ihren Preis. Demokratie, Solidarität mit Freunden und Partnern hat ihren Preis. Und diesen Preis sind wir bereit zu zahlen. Dafür schönen Dank“, sagt Scholz an den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, gerichtet.
Industrie steht hinter Sanktionen gegen Russland
Anders als 2014 nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim hatte es nach dem russischen Angriff auf das Nachbarland am 24. Februar keine Kritik deutscher Industrievertreter an den Sanktionen gegeben. Scholz hat in seiner Rede am Dienstag sogar Lob für die deutsche Rüstungsindustrie übrig, mit der die SPD sonst traditionell fremdelt. Auch dank der engen Zusammenarbeit mit den Rüstungsschmieden könne Deutschland Waffen in größerem Umfang an die Ukraine liefern, damit diese sich gegen Russland zur Wehr setzen könne.
Auch weiß Scholz, wie sehr die hohen Inflationsraten und Rohstoffpreise den Unternehmen zu schaffen machen. „Wichtig ist, dass die externen Schocks zu keiner dauerhaften Inflationsspirale führen“, sagt er. „Daran muss allen Verantwortlichen gelegen sein.“ Er habe Arbeitgeber und Gewerkschaften deshalb am 4. Juli zum Auftakt einer sogenannten konzertierten Aktion ins Kanzleramt eingeladen, der ein „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ sein solle.
Der Bundeskanzler zeigte Verständnis für die Probleme der Industrie.
Scholz betont auch, dass das Land die Herausforderungen abseits des Ukrainekriegs wie den ökologischen Umbau der Wirtschaft weiterhin anpacken müsse und verspricht den Wirtschaftsvertretern: „Ich will, dass Deutschland aus diesem Wandel nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgeht, dass es nicht weniger, sondern mehr industrielle Arbeitsplätze gibt, dass wir klimaneutral werden und zugleich ein international wettbewerbsfähiges Industrieland bleiben.“
BDI-Präsident Russwurm hatte zuvor die Russlandpolitik der Bundesregierung gelobt. „Aus eigener Überzeugung unterstützt die deutsche Industrie die Russlandpolitik. Der Ukraine gilt unsere Solidarität.“ Scholz sitzt da bereits in der 1. Reihe und beklatscht das Lob für sich selbst.
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Russwurm räumt in seiner Rede ein, dass auch die Wirtschaft sich Irrglauben hingegeben habe. „Wir alle müssen unser Weltbild korrigieren.“ So sei es ein Fehler gewesen, sich aus Kostengründen so abhängig von Autokratien zu machen. Das sei „genauso falsch“ gewesen wie die Vernachlässigung der Bundeswehr. „Wir haben an der Feuerwehr gespart, weil wir das Brandrisiko für vernachlässigbar gehalten haben. Und jetzt brennt es lichterloh.“
Wir alle müssen unser Weltbild korrigieren. BDI-Präsident Siegfried Russwurm zum Verhältnis Deutschlands zu Russland
Auf die Frage, welche Schulnote er Scholz und der Bundesregierung geben würde, will sich der wohl mächtigste Wirtschaftsvertreter in Deutschland nicht festlegen. Trotz aller Befürchtungen um die Beziehung zwischen linksliberaler Regierung und Wirtschaft bestehe nur geringer Dissens, sagte er bereits am frühen Morgen noch in Abwesenheit von Scholz.
Ein paar Wünsche trägt Russwurm an Scholz später doch noch heran. Höhere Steuern, hohe Energiekosten und überbordende Bürokratie seien Innovationshemmnisse für Investoren. Russwurm erinnerte Scholz daher an das Motto des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“. „Wir brauchen jetzt einen Innovationsturbo“, fordert Russwurm. Dazu zählten konkret verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten und eine sichere Energieversorgung. „Das ist unsere Achillesferse.“
Außerdem tue die Bundesregierung zwar viel, um die Unternehmen von den hohen Energiekosten zu entlasten – aber nicht genug, auch, weil sie eigene Versprechen nicht einlöse. Russwurm verwies dabei auf das Industrie-Treffen vor einem Jahr.
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Damals war Scholz noch als SPD-Kanzlerkandidat zu Gast und habe einen global wettbewerbsfähigen Strompreis versprochen. „Vier Cent wären sinnvoll“, habe der heutige Kanzler 2021 gesagt, erinnerte sich Russwurm. Doch heute sind es immer noch etwa 18 Cent pro Kilowattstunde, rund die Hälfte davon sind Steuern und Abgaben.
CDU-Chef Friedrich Merz hatte zuvor in seiner Rede vor den Wirtschaftsvertretern gefordert, die drei in Deutschland noch verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. „Wenn Frankreich in der Lage ist, 50 Kernkraftwerke mit Brennstäben zu versorgen und laufen zu lassen, sollte es doch möglich sein, drei Kernkraftwerke länger laufen zu lassen“, erklärt Merz.
Dieses Thema spart sich Scholz. Als Scholz den Saal verlässt, klatschen die Wirtschaftsvertreter nicht euphorisch, aber doch höflich. Es sind nicht die Zeiten der Auseinandersetzungen, sondern der Zusammenarbeit. Diese Botschaft senden sowohl Scholz als auch Russwurm an diesem Tag aus.
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