Berlin Die Mehrheit im Parlament dürfte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) an diesem Donnerstag sicher sein: Zumindest die Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP dürfte im Bundestag für das von ihm propagierte Neun-Euro-Ticket im Nahverkehr plädieren. Doch heißt dies noch lange nicht, dass von Juni an drei Monate lang ein Super-Sparpreis für ein Monatsticket die Menschen in Bus und Bahn treibt. Am Freitag könnte schon die Ernüchterung folgen: Dann sollen die Bundesländer im Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.
Nach Informationen des Handelsblatts aus Koalitions- und Länderkreisen wollen etliche Bundesländer das geplante Regionalisierungsgesetz ablehnen oder sich der Stimme enthalten, wenn der Bundestag es an diesem Donnerstag unverändert beschließen sollte. Das Gesetz käme dann in den Vermittlungsausschuss. Damit würde das Rabatt-Ticket nicht wie geplant zeitgleich mit dem Rabatt an den Tankstellen eingeführt.
Dabei hatte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Stefan Gelbhaar, erst am Wochenende dem Handelsblatt gesagt: „Beide Gesetze sollen am 1. Juni gleichzeitig in Kraft treten. Das werden wir im weiteren Verfahren absichern.“ Und auch SPD-Fraktionsvize Detlef Müller hatte die Länder vor „taktischen Spielchen“ gewarnt.
Um den Nahverkehr ist ein föderaler Streit entbrannt
Doch um das Rabatt-Ticket ist mittlerweile ein regelrechter Machtkampf zwischen dem Bundesverkehrsminister und seinen Landeskollegen entbrannt. Die Bundesländer sind für den Nahverkehr zuständig. Sie bestellen und organisieren Busse und Bahnen über Aufgabenträger oder über kommunale Verkehrsunternehmen. Sie bestimmen eigentlich auch die Preise, die sie nehmen. Der Bund indes ist per Grundgesetz verpflichtet, den Nahverkehr auskömmlich zu finanzieren. An dieser Doppelrolle entzündet sich aktuell einmal mehr der föderale Streit.
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Die Bundesländer sind sich im Grundsatz einig: Der Bund soll mehr zahlen, Wissing hingegen lehnt ab. Zum Showdown hin rebellieren nun vor allem jene Bundesländer, in denen CDU oder CSU mitregieren. Aber auch aus dem SPD-regierten Saarland gibt es lautstark Widerstand. „Damit das Neun-Euro-Ticket auch langfristig positive Effekte hat, muss eine ausreichende Erhöhung der Regionalisierungsmittel gewährleistet sein, sonst wird angesichts der Energiepreise der ÖPNV auf lange Sicht eher weniger als mehr“, sagte der Regierungssprecher von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger dem Handelsblatt. ÖPNV ist der öffentliche Personennahverkehr. „Da muss der Bund liefern. Stand jetzt ist die Zustimmung des Saarlands keineswegs sicher.“
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Das Saarland hat zwar nur drei Stimmen im Bundesrat. Zu den unionsregierten Ländern gehören aber Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Bayern und Brandenburg sowie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Insgesamt vereinen diese Länder 39 der insgesamt 65 Stimmen im Bundesrat, mit dem Saarland sind es 42 – sie wären also klar in der Mehrheit.
In Hessen hieß es, das Abstimmungsverhalten sei noch offen, ebenso in NRW und in Niedersachsen. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sagte dem Handelsblatt, wenn der Bund die Regionalisierungsmittel nicht anhebe, „wird Niedersachsen dagegen stimmen oder sich enthalten“. Bayern und Baden-Württemberg hatten bereits Widerstand angekündigt. Enthalten sich die Bundesländer, dann entspricht dies einem Nein, womit die Mehrheit im Bundesrat verfehlt würde.
Eine Protokollerklärung soll die Länder beruhigen
Die Ampelkoalitionäre hatten die Länder mit dem Vorhaben des Neun-Euro-Tickets regelrecht überrumpelt: Um den von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeschlagenen Tankrabatt durchzusetzen, hatte Parteifreund Wissing im Koalitionsausschuss Ende März den Vorschlag für den Nahverkehrsrabatt unterbreitet.
Am nächsten Morgen fielen die Landesverkehrsminister und die Vertreter der Verkehrsverbände aus allen Wolken. Sie fordern seit Monaten vom Bund dauerhaft 1,5 Milliarden Euro mehr, um ihren Nahverkehr zu modernisieren und auszubauen. Schließlich sollen sie bis 2030 im Auftrag des Klimaschutzes deutlich mehr Menschen vom Auto in Bus und Bahn locken. Kurzfristig hatten sie obendrein einen Ausgleich für die gestiegenen Energiepreise gefordert, einmalig weitere 1,5 Milliarden Euro.
Stattdessen droht nun ein tiefes Loch in den Kassen: Mindestens 2,5 Milliarden Euro sind es nach ersten Prognosen, wenn das Monatsticket für drei Monate derart verbilligt angeboten wird. Doch Bundesminister Wissing bleibt bei seiner Linie: Er fordert grundlegende Reformen im Nahverkehr, bevor er frisches Geld ins System gibt.
Die Verluste durch das Rabatt-Ticket betreffen Nahverkehrsunternehmen, die Busbranche wie auch regionale Schienenverkehrsanbieter. Entsprechend deutlich sprachen am Montag deren Verbandsvertreter bei einer Anhörung im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags von einem „Strohfeuer“ und forderten nachhaltige Konzepte anstelle einer Drei-Monats-Aktion aus.
Die Kritik aber verhallte: SPD, Grüne und FDP formulierten noch am Abend einen Änderungsantrag zum Gesetz, in dem sich kein Wort dazu fand, mehr Bundesmittel an die Länder zu überweisen.
Wie es hieß, werden nun zwei Optionen verhandelt: Zum einen könnte die Ampelkoalition am Donnerstag nicht nur das Gesetz beschließen, sondern gleich noch eine Protokollnotiz. Ein entsprechender Vorschlag stamme aus Baden-Württemberg und Bayern, wie es hieß.
Demnach würde sich die Koalition verpflichten, noch in diesem Jahr weitere 1,5 Milliarden Euro als Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr bereitzustellen. Oder aber Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würde gemeinsam mit Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine entsprechende Erklärung öffentlich abgeben.
„Die Chancen stehen 50:50“, hieß es am Dienstag in der Regierungskoalition. „Ohne eine Protokollerklärung dürfte es auf den Vermittlungsausschuss hinauslaufen.“
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