Um den Absturz des Gerhard Schröder nachzuvollziehen, empfiehlt es sich, nochmal die Würdigungen zu seinem 70. Geburtstag in Erinnerung zu rufen. Es war ein lauschiger Aprilabend im Hamburger Bahnhof in Berlin, wenige Wochen nach der russischen Annexion der Krim. Alles, was Rang und Namen in der Politik hatte, war da.
Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte Worte, die heute einen ganz anderen Klang haben. Er würdigte Schröder als einen „der ungewöhnlichsten sozialdemokratischen Politiker“. Schröder sei das Gegenteil eines blutleeren Berufspolitikers. „Bei allem was er getan hat, ist er aufs Ganze gegangen. Für sich, für die SPD, aber auch für das Land“, meinte Gabriel.
Der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann meinte, es gebe in der SPD „einen unglaublichen Respekt für Gerhard Schröder und seine politische Lebensleistung“. Er habe Deutschland aus dem Irak-Krieg herausgehalten, den Atomausstieg auf den Weg gebracht und die Arbeitsmarktreformen geschafft.
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Doch das politische Wirken ist längst in den Schatten des Wirkens nach der Amtszeit getreten. Schröder kann in Hannover, wenn er ausgeht, erfahren, was es bedeutet, ein geächteter Mann zu sein. In der SPD läuft auf Antrag zahlreicher Verbände ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel des Ausschlusses, wegen seiner Weigerung mit Wladimir Putin zu brechen und seine Aufsichtsratsmandate bei russischen Energiekonzernen niederzulegen.
Und diese Woche wird sich entscheiden, in welchem Umfang dem inzwischen 78 Jahre alten Altkanzler die Ausstattung gestrichen werden soll, seine Büromitarbeiter für die Räumlichkeiten Unter den Linden 50 haben ohnehin gekündigt. Und Termine und Redeanfragen gibt es gerade eher wenig zu koordinieren.
Schröders Büro kostet über 400.000 Euro im Jahr, Merkels fast das Doppelte
Das Büro kostete im vergangenen Jahr den Steuerzahler an Personalkosten insgesamt 418.531 Euro, davon 11.789 Euro an Reisekosten – bei Angela Merkel könnten die jährlichen Kosten wegen einer größeren Ausstattung rund 800.000 Euro beantragen. Die Ampel will daher an eine generelle Reform ran.
Demnach soll der SPD-Politiker sein Büro und seine Mitarbeiter verlieren. Das verbliebene Personal solle die Aufgaben des Büros abwickeln und anschließend anderweitige Aufgaben übernehmen, heißt es im Antrag der Ampel-Koalition für den Haushaltsausschuss, der am Donnerstag beschlossen werden soll.
Die Ampel-Koalitionäre begründen die Streichung von Schröders Privilegien offiziell nicht mit dessen Haltung zu Russland und Putin. Das soll den Beschluss weniger angreifbar machen. Stattdessen fordern sie die Bundesregierung auf sicherzustellen, dass die Amtsausstattung ehemaliger Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler „nach den fortwirkenden Verpflichtungen aus dem Amt erfolgt und nicht statusbezogen“.
Nach Tagesspiegel-Informationen aus Koalitionskreisen könnte die geplante Reform, die Schröders Ausstattung sofort kappt, also auch für Angela Merkel Einschnitte bedeuten. Zudem pocht die FDP darauf, dass die Regelung auch für ehemalige Bundes- und Bundestagspräsidenten gelten soll. Sie soll sich orientieren an den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes.
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Eine Bewertungsgrundlage für weitere Unterstützung soll nach dem Fall Schröder sein, ob es überhaupt noch entsprechende Altkanzler-Aufgaben gibt. Bei Schröder fällt da derzeit praktisch nicht an. Unberührt davon sollen der Personenschutz und die Altersversorgung für Altkanzler weiter gelten.
Ampel will sich an Rechnungshof-Empfehlung orientieren
Der Bundesrechnungshof hatte 2018 bereits eine Reform angemahnt, an der sich auch die Ampel-Parteien nun nach Tagesspiegel-Informationen ausrichten wollen. Demnach soll es eine einheitliche Ausstattung geben, die in den Folgejahren heruntergefahren werden soll. „Da fortwirkende Verpflichtungen mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Amtsende abnehmen, muss das Bundeskanzleramt auf Veränderungen der in den Büros erledigten Aufgaben reagieren“, betonte die Behörde.
Für den Personenschutz und den Schutz etwa der Wohnsitze der Bundeskanzler a. D. würden darüber hinaus jährlich Ausgaben in Millionenhöhe aus dem Bundeshaushalt geleistet. Der Rechnungshof empfiehlt daher dem Bundeskriminalamt, ein abgestuftes Schutzprogramm festzulegen, „dessen Umfang vorbehaltlich aktueller Bedrohungslagen nach Zeitintervallen abnehmen sollte“.
Der Präsident des Steuerzahler-Bundes, Reiner Holznagel, unterstützt diesen Ansatz. „Unter dem Strich wäre es sinnvoll, wenn die nachamtliche Ausstattung für Alt-Bundeskanzler vereinheitlicht und auf ein notwendiges Minimum reduziert werden würde“, sagte er dem Tagesspiegel.
Union will Schröder fast alles kappen, aber Merkel verschonen
Der Linken-Finanzpolitiker und frühere Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi ist dagegen für eine radikalere Reform: „Einfach ein Sekretariat für alle AltkanzlerInnen – ohne Fußballmannschaften an Mitarbeitern und dazu noch Personenschutz“, twitterte er.
Auch das Kanzleramt ist in das Reformvorhaben eingebunden, letztlich geht es um eine Regelung, die später auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) betreffen wird. Über die Büros werden unter anderem Termine, Auftritte, Publikationen, öffentliche Anfragen und Schirmherrschaften organisiert. Die Finanzierung ist komplex: Über das Bundeskanzleramt werden die Personalkosten getragen. Die Büroräume selbst werden wiederum über die Bundestagsfraktion zur Verfügung gestellt, deren Partei der Altkanzler angehört. der Personenschutz wird durch das BKA organisiert und vom Steuerzahler getragen.
Europaparlament will Schröder auf Sanktionsliste setzen
Die Causa Schröder beschäftigt inzwischen auch das Europaparlament. Es will die EU-Mitgliedstaaten dazu aufrufen, im Zuge der Sanktionen gegen Russland auch gegen Altbundeskanzler Schröder vorzugehen.
Nach dem Willen des EU-Parlaments sollen Schröder und weitere europäische Politiker in Diensten russischer Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste gesetzt werden. Das geht aus einem dem Tagesspiegel vorliegenden Entwurf für eine Resolution hervor, der zwischen den Fraktionen im EU-Parlament abgestimmt wurde. Die Verabschiedung der Resolution ist ebenfalls für den kommenden Donnerstag geplant.
Neben Schröder werden in dem Resolutionsentwurf der frühere französische Premierminister François Fillon erwähnt, sowie der ehemalige finnische Regierungschef Esko Aho, die frühere österreichische Außenministerin Karin Kneissl und Österreichs Ex-Regierungschef Wolfgang Schüssel. Das könnte dann Reiseeinschränkungen und das Einfrieren von Vermögen bedeuten – für die langjährigen Russlandwerber könnten ungemütlichere Zeiten anbrechen.